Wirkungsloses „Verhandlungsgebot“ schadet dem Mobilfunkmarkt

10. Okt 2022

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Lesezeit: 8 Minuten

Was dem deutschen Mobilfunk fehlt, liegt auf der Hand: Wettbewerb. Die Auswirkungen des schwachen Wettbewerbs auf dem deutschen Mobilfunkmarkt spiegeln sich in hohen Preisen, schlechter Qualität und geringer Nutzung wider. Wie in Abbildung 1 dargestellt, sind Mobilfunktarife in Deutschland im westeuropäischen Vergleich überdurchschnittlich teuer. Während sie gleichzeitig ein unterdurchschnittliches Datenvolumen bieten. Mobilfunkkunden in Deutschland zahlen für das erhaltene Leistungsspektrum im Durchschnitt äußerst hohe Preise.

Abb.1 Durchschnittliche Preise und Datenvolumina von Mobilfunktarifen in westeuropäischen Ländern

Abbildung 1

Nun ließe sich sagen: Es geht nun mal nicht anders – die Strukturen in Deutschland geben mehr nicht her. Doch das stimmt nicht! Denn ein Blick in die deutsche Mobilfunkvergangenheit gibt Auskunft, wie der Markt sein volles Potenzial ausleben und ein faires Mobilfunkangebot im Sinne der Verbraucher entstehen könnte.

Also zurück zur Marktliberalisierung und zur zielgenauen Regulierung mithilfe einer Diensteanbieterverpflichtung.

Die Diensteanbieterverpflichtung ist eine regulatorisch auferlegte Zugangsverpflichtung auf der Vorleistungsebene des Telekommunikationsmarkts. Sie verpflichtete Mobilfunknetzbetreiber (MNO), Diensteanbietern diskriminierungsfrei Netzzugänge zu wettbewerblichen Bedingungen zu gewähren. Diensteanbieter leisten einen bedeutsamen Beitrag zu der Intensivierung des Wettbewerbs auf dem Endkundenmarkt für Mobilfunktarife. Sie können aber nur dann wettbewerbsfähig sein, wenn sie unter fairen Konditionen Zugang zu den Netzen der MNOs erhalten.

Der Vorleistungsmarkt wird aufgrund struktureller Barrieren (große Skaleneffekte, knappe Frequenzen) von einer tendenziell kleinen Zahl von MNOs bedient. Die MNOs haben einen Anreiz, den Zugang möglicher Konkurrenten zu ihren Netzen zu beschränken. So wird eine Intensivierung des Wettbewerbs auf dem Endkundenmarkt verhindert.

Regulatorische Eingriffe sind daher im Vorleistungsmarkt häufig erforderlich, um den Wettbewerb im Endkundenmarkt zu beleben. So können Verbrauchervorteile in Form geringerer Preise, besserer Qualität und größerer Auswahl gewährleistet werden.[1] Aus dieser Absicht wurde im Rahmen der 2G- und 3G-Frequenzenvergaben eine Diensteanbieterverpflichtung auferlegt. Sie schaffte ein Level-Playing-Field auf dem Mobilfunkmarkt und stellte über Jahre erfolgreich funktionierenden Endkundenwettbewerb her.

Fälschlicherweise wurde bei der späteren Versteigerung der Frequenzen für 4G/LTE eine solche Verpflichtung nicht erneut auferlegt. Dadurch wurde der Wettbewerb sukzessive und nachhaltig geschwächt. Verhandlungen zwischen MNOs und Diensteanbietern auf freiwilliger Grundlage waren nicht in der Lage, diskriminierungsfreie Netzzugänge zu wettbewerbsfähigen Konditionen in die 4G/LTE-Netze herzustellen. Trotz der Einführung der LTE-Tarife von den MNOs im Jahr 2011 wurde Diensteanbietern erstmals im Jahr 2019 im Zuge der Einstellung der 3G-Netztechnologie Zugang zu 4G gewährt. Jedoch mit einer gedrosselten Geschwindigkeit.[2]

Um den Wettbewerb erneut zu beleben, legte die Bundesnetzagentur den MNOs im Jahr 2018 bei der Vergabe der 5G-Frequenzen ein sogenannten „Verhandlungsgebot“ auf. Ein Abschluss- und Kontrahierungszwang war damit allerdings nicht verbunden, womit ein Scheitern dieses Instruments bereits 2018 zu erwarten war. Und genau so kam es dann auch. Das „Verhandlungsgebot“ konnte den Wettbewerb nicht beleben. Diensteanbieter verfügen über keinen diskriminierungsfreien Zugang zum 5G Netz, was auch die Monopolkommission in ihrem Gutachten 2021 feststellte: die MNOs seien nicht bestrebt, Diensteanbietern auf dem Verhandlungsweg Zugang zu ihren 5G Netzen zu gewähren.

Abb. 2 Entwicklung der Marktanteile der MNOs und Diensteanbieter im deutschen Mobilfunkmarkt seit 2010

Abbildung 2

Wie in Abbildung 2 gezeigt, waren die Marktanteile der MNOs noch vor weniger als einer Dekade wesentlich asymmetrischer verteilt. Inzwischen konsolidierten sie jedoch ihre Marktmacht, während die Diensteanbieter zuletzt Marktanteile verloren haben. Ihnen fehlt der notwendige Zugang zu den moderneren Netztechnologien. Das „Verhandlungsgebot“ scheitert als Instrument, mit dessen Hilfe Diensteanbieter diskriminierungsfreien Zugang erhalten können, um auf Augenhöhe mit den MNOs zu konkurrieren.

Insgesamt lässt sich zeigen, dass der Wegfall der Diensteanbieterverpflichtung den Wettbewerb im Mobilfunkmarkt nachhaltig geschwächt hat. Auch die Auferlegung des vollständig wirkungslosen „Verhandlungsgebots“ konnte keinen Wettbewerb erzeugen. Die erneute Auferlegung einer Diensteanbieterverpflichtung ist daher notwendig, um den verbliebenen Wettbewerb in Deutschland zu erhalten bzw. auszubauen.

 

[1]      Drillisch wurde Zugang zum LTE-Netz von Telefonica schon im Jahr 2014 gewährt. Dabei handelte es sich jedoch nicht um eine freiwillige Öffnung, sondern um die Erfüllung einer Auflage der Europäische Kommission, die aus der Aufnahme von E-Plus herführt.

[2]      Bei funktionierendem Wettbewerb auf dem Vorleistungsmarkt haben MNOs ein hohes Interesse an einem Vertragsschluss mit Diensteanbietern, um von dem generierten Umsatz zu profitieren und einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den übrigen MNOs zu erreichen.

Zum Autor

Niels Frank studierte Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Industrieökonomik an der Christian-Albrechts-Universität Kiel sowie der Universität Hamburg. Im Jahr 2004 trat er dem Unternehmen Lademann & Associates bei und hat seitdem eine Vielzahl von wettbewerbsökonomischen Beratungsprojekten geleitet. Seine Beratungserfahrung umfasst ökonomische Analysen in:

  • Kartellbußgeld- und Schadenersatzverfahren (u. a. Zement, Industrieversicherungen, Papiergroßhandel, Flüssiggas, Autoglas, TV-Werbezeiten, Kaffee, Zucker, Löschfahrzeuge, Aufzüge & Fahrtreppen, Lkw, Mastercard II, Ethylen, Google Shopping),
  • Fusionskontrollverfahren (u. a. Müller/Poelmeyer, Edeka/Plus, Rewe/Adeg, Telefónica/E-Plus, Vodafone/Liberty Global, Matratzenfüllungen, Postdienst-leistungen),
  • Marktmachtmissbrauch (u. a. Rabattsysteme und Exklusivitätskontrakte, Plattformmärkte, Netzzugänge) sowie
  • Regulierungsfragen (u. a. Netzentgeltregulierung in Ferngasnetzen, Mobilfunkdienstleistungen, Postdienstleistungen).

Niels Frank hat Artikel im Journal of Competition Law and Economics, Journal of European Competition Law and Practice, Zeitschrift für Wettbewerbsrecht und Wirtschaft und Wettbewerb veröffentlicht. Seit 2007 lehrt er an der Universität Bayreuth im Bereich Wettbewerbspolitik und -ökonomie. Er wird regelmäßig als ein führender Wettbewerbsökonom in Who’s Who Legal: Thought Leaders Germany und Who’s Who Legal: Consulting Experts empfohlen.

 

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